Herzensangelegenheit: Wie es gelingt, Menschen zwischen 19 und 79 miteinander ins Gespräch zu bringen

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25.10.2021 - Sookee
Sookee © KRuge

Zehn Jahre lang machte Sookee queerfeministischen Rap. Heute widmet sie sich neben ihrer Karriere als Kindermusikerin noch einem weiteren Herzensanliegen: Fenster zur weiten gesellschaftlichen Veränderung zu öffnen, die alle betrifft – unabhängig vom Alter.

Die Idee zu „Abends warm“ existierte schon lange, bevor wir im Oktober 2020 die erste Ausgabe in der Urania Berlin ermöglichten, in meinem Kopf: Drei Generationen sitzen beieinander und sprechen über die Dinge des politisch Alltäglichen, über große gesellschaftliche Visionen von einst und die dar-aus gewordenen Realitäten von heute.

Nach dem ersten Dafürhalten könnte man meinen, ich knüpfte mit diesem behaglichen Szenario an traditionelle Familienvor-stellungen an. Nur eben mit dem Unterschied, dass Familie auch eine selbst gewählte Familie sein kann, eine, die sich in ihrer konkreten Form weitab von patriarchalen Familienstrukturen bewegt. Zumal die Rückkehr zum Mehrgenerationen-Miteinander der in Bezug auf nachhaltige Lebensweisen und die Verteilung von Care-Work heute mit-unter ein ganz anderes Bewusstsein umgibt als zu Zeiten, in denen man eben mit den Schwiegereltern und deren Enkelkindern zwangsläufig unter einem Dach wohnte.

Das Generationengespräch ist zudem auch ein Akt der Selbstbestimmung gegen die Vereinnahmung der Menschen durch Marktlogiken: Hierüber wird sich der atomisierenden Einteilung in kleine und kleinste Zielgruppen entzogen. „Abends warm“ ist kein Format für die Jungen oder die Alten oder die dazwischen. Es ist ein Format für alle, denn hier geht es um Begegnungen, die uns der Alltag kaum noch zugesteht. „Abends warm“ ist das Gegenteil der Separierung derjenigen, die schon das meiste hinter sich haben, und derjenigen, die noch ordentlich was leisten müssen.

Es wird immer wieder die Spaltung der Gesellschaft beklagt. Diese Gesprächsreihe ist eine Antwort auf diese Sorge. Sie ‘führt zusammen, und zwar entlang der einzigen soziostrukturellen Kategorie, die ‘für alle Menschen dynamisch und veränderlich ist, unter der alle Menschen sowohl Phasen der Privilegierung als auch der Benachteiligung durchlaufen: dem Alter. Natürlich unter dem Eindruck verschiedenster Intersektionen mit anderen Identitätsmarkern wie Geschlecht, sexueller Orientierung, Sprache, Klassenzugehörigkeit, Religiosität, Nationalität, Bildungsbiografie, Migrationsgeschichte, Körperstatus, neurologischer Konfiguration und so weiter.

Inzwischen haben wir in Kooperation mit der Berliner Landeszentrale für politische Bildung sieben Gesprächsveranstaltungen unter genauester Einhaltung der Corona-Maßnahmen umsetzen können. Mein Eindruck aus dieser ersten Staffel – und die Rückmeldungen meiner Gesprächsgäste und der zahlreichen Zuschauenden, die den Livestream verfolgen, sprechen da eine ähnliche Sprache – ist, dass viele politisch interessierte und sozial engagierte Menschen den intergenerationalen Austausch und damit das gemeinsame Lernen als bereichernd empfinden. Denn er weitet den Blick, er schafft Geschichtsbewusstsein, ehrt und wertschätzt die Kämpfe und Errungenschaften derjenigen, die schon einige Jahrzehnte Vorsprung haben. Und er zeigt, dass gegenwärtige Bewegungen, Debatten und Protest-formen sehr wohl auf eben jener Vorarbeit basieren und aufbauen, sie weiterdenken, in Teilen in die digitale Welt verlegen und damit auch wieder neue Zugänge zur Beteiligung schaffen.

Die Alten sehen: Ihre Arbeit trägt wieder und wieder Früchte. Ihre Worte, ihr Wirken lebt fort und sie sind immer eingeladen, ihren Beitrag zu leisten. Der Mut, die Ausdauer und der Kraftaufwand, den insbesondere Menschen aus marginalisierten Gruppen au¹ringen mussten, um einer mitunter konservativ-restriktiven Mehrheitsgesellschaft Missstände aufzuzeigen und für deren Veränderung zu streiten, haben sich gelohnt. Die Historizität der queeren Community, migrantischer Selbstorganisation, klassen-kämpferischer Bündnisse und anderer sozial bewegter Räume wird zunehmend gesehen und honoriert.

Die Jungen mit ihren komplexen Debatten rund um Teilhabe, Repräsentation und Gerechtigkeitsverständnisse auf der anderen Seite sorgen dafür, dass die Gesellschaft nicht die Hände in den Schoß legt und sich mit dem zufriedengibt, was ist. Sie müssen sich nun wahrlich nicht mehr den Vorwurf gefallen lassen, sie seien politisch desinteressiert, lethargisch und nur am eigenen Vergnügen ausgerichtet. Sie studieren die Geschichten der ihnen Vorangegangenen und die Geschichtlichkeit der Debatten, die sie heute mitgestalten, sie erkennen, welche Räder sie neu erfinden müssen und welche nicht. Und sie werden darin ernst genommen.

Das ist die Folie, vor der „Abends warm“ Menschen zwischen 19 und 79 Jahren mit-einander ins Gespräch bringt und vor der die Begriffe „jung“ und „alt“ niemals despektierlich verwendet, sondern als zwei Fenster zu den Weiten gesellschaftlicher Veränderung betrachtet werden.

Sookee, bürgerlich Nora Hantzsch, studierte Linguistik und Gender Studies. Als Musikerin wurde sie durch ihre Texte zu einer Ikone des deutschen Rap, und das in einem Umfeld, das häufig für seinen Sexismus und seine Homophobie kritisiert wird. 2019 erschien ihre erste Platte mit Kindermusik. Ein Jahr später erhielt sie für ihr gesellschaftliches Engagement den Clara-Zetkin-Frauenpreis.

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