Ich möchte Künstler werden! – Exemplarische Berufswunscherfüllung vor 500 Jahren

Artikel
15.11.2019 - Thomas R. Hoffmann

Wenn heute Jugendliche ihren Eltern den hehren Wunsch offenbaren, Künstler:in werden zu wollen, wird dies wohl nicht in jeder Familie mit Freudenbekundung quittiert. Auch noch im 21. Jahrhundert wird beständig das Argument der brotlosen Kunst ins Feld geführt. Doch wie sah selbstbestimmtes Handeln eines Jugendlichen vor 500 Jahren aus?

Als am 21. Mai 1471 Albrecht Dürer als Sohn eines Goldschmieds in Nürnberg das Licht der Welt erblickte, war wahrscheinlich von Geburt aus vorbestimmt, dass er in die Fußstapfen seines Vaters treten sollte. Doch schon als Jugendlicher scheint in ihm die Sehnsucht gewachsen zu sein, mehr als ein Kunsthandwerker werden zu wollen. So gab ihn der Vater wohl auf Verlangen des Sohnes in die Ausbildung des hochangesehenen Nürnberger Malers Michael Wolgemut. Nach abgeschlossener Lehre und Gesellenwanderung gedeihte in dem jungen Albrecht Dürer das Bedürfnis, die Alpen zu überqueren und das Sehnsuchtsland Italien zu besuchen. Gleich zwei Mal in seinem Leben sollte er in die Lagunenstadt Venedig reisen und während seines zweiten Aufenthalts im Brief vom 13. Oktober 1506 an seinen Freund Willibald Pirckheimer schreiben: „O wie wird mich noch der Sunnen frieren. Hie bin ich ein Herr, doheim ein Schmarotzer.“ Aus dem selbstempfundenen Schmarotzer wurde der angesehenste Künstler im deutschsprachigen Raum, dessen Bilderfindungen sich keiner seiner Zeitgenossen zu entziehen vermochte. Fast jeder hat sich mit ihm messen wollen – ob in Malerei oder in der Druckgraphik. Nicht zuletzt der mächtigste Mann Nordeuropas nahm Dürers Dienste in Anspruch: Kaiser Maximilian I. Er ließ sich unter anderem eine papierne Ehrenpforte aus 192 Druckstöcken arbeiten und saß Albrecht Dürer in Nürnberg im Jahre 1518 für eine Stunde Modell, woraus Dürer ein Bildnis in Öl und einen Holzschnitt kreierte. Als der große Nürnberger 1528 im Alter von 57 Jahren verstarb, hinterließ er neben theoretischen Schriften auch sein großes künstlerisches Œuvre, das zur Messlatte der nachfolgenden Generationen wurde. Aus dem Goldschmiedesohn war der bedeutendste deutsche Künstler aller Zeiten geworden, den die Zeitgenossen in Anlehnung an den Hofmaler Alexander des Großen den Apelles Gemaniae nannten.

Als Albrecht Dürer in Nürnberg verstarb, hatte sich schon ein Jahrhundert zuvor in Italien ein neues Selbstverständnis unter den gebildeten Menschen herauszuschälen begonnen. So konnten sich auch die bildenden Künstler einen Stellenwert erarbeiten, den man am Anfang des 15. Jahrhunderts in den deutschsprachigen Gebieten noch suchte. Entsprechend nahm in Florenz das künstlerische Selbstverständnis eines Leonardo da Vincis seinen Ausgangspunkt, der als unehelicher Sohn eines Notars im Jahre 1452 in Vinci geboren wurde.  Leonardo fühlte sich – und rückblickend zweifellos zu Recht – zu etwas Höherem berufen. In der Arnometropole im Dunstkreis der Medici-Familie künstlerisch ausgebildet, zog es ihn an den Hofe der Sforza, der Herzöge von Mailand. Nach dortiger fast 20jähriger erfolgreicher und ruhmbildender Tätigkeit führte es ihn über Venedig mit Zwischenstopp in Mantua zurück nach Florenz und über das kirchliche Machtzentrum Rom an den Hof des französischen Königs Franz I. Hier wohnte er seine beiden letzten Lebensjahre in einem Loire-Schloss und wurde fürstlich entlohnt, bis er am 2. Mai 1519 auf französischem Boden als hochangesehener Künstlerfürst im Schloss Clos Lucé in Amboise verstarb. Als Maler, Bildhauer, Architekt, Anatom, Mechaniker, Ingenieur und Naturphilosoph in einem hatte er sich einen Rang erarbeitet, der Wunsch-Vorbild für unzählige Künstler der kommenden Jahrhunderte wurde.

Im Todesjahr Leonardos hatte im mehr als 1000 Kilometer östlich von Amboise gelegenen Wittenberg ein ganz anders gearteter Künstler seine Wirkungsstätte ausgebaut. In der Lutherstadt an der Elbe festigte der annähernd 50jährige Lucas Cranach d. Ä. schon rund 15 Jahre lang am Hofe des Kurfürsten Friedrich dem Weisen seine Malerposition. Doch im Gegensatz zu Leonardo, der langsam und wohlkalkuliert arbeitete und seine malerische Raffinesse regelrecht zelebrierte, setzte Cranach nicht auf einen brillanten Personalstil. Ganz bewusst entschied sich Cranach für einen Werkstattstil, den sich seine Mitarbeiter leicht aneigneten und auf diese Weise einfach zu produzierende Werkstattware hervorbringen konnten. Diese wurde dann mit dem Werkstattzeichen versehen – eine geflügelte Schlange mit Rubinring im Maul. In heutiger Zeit würde man es Branding nennen. Ein wahrlich moderner Künstlertyp und zudem cleverer Geschäftsmann, bei dem das Augenmerk auf dem Profit lag, was Cranach zum wirtschaftlich erfolgreichsten Künstler seiner Zeit und zum zweitreichsten Bürger von Wittenberg erwachsen ließ. Als zahlenmäßig größter Grundstück- und Immobilienbesitzer der Elbestadt wohnte Cranach am Wittenberger Marktplatz und hatte dreimal das Bürgermeisteramt inne. Im Laufe seines Lebens verließen höchstwahrscheinlich rund 5000 Gemälde seine mehr und mehr zur Manufaktur sich entwickelnde Arbeitsstätte, was sie zu der produktivsten Werkstatt Europas ihrer Zeit machte. Verständlicherweise lautete seine ihn rühmende lateinische Grabinschrift pictor celerrimus – auf gut deutsch Schnellmaler.

Lucas Cranachs Werk ist nicht zuletzt so umfangreich, da ihm ein langes Leben beschieden war. Er starb mit Anfang achtzig – sein Erbe trat sein Sohn Lucas an, heute bekannt als Lucas Cranach der Jüngere. Als letzterer 1515 geboren wurde, steuerte die Kunstauffassung Raffaels im päpstlichen Rom ihrem Höhepunkt entgegen. In Urbino geboren und in der Werkstatt Pietro Peruginos ausgebildet, zog es ihn um 1504 nach Florenz. Hier rivalisierten gerade die nicht gut auf sich zu sprechenden Künstler Leonardo da Vinci und Michelangelo in Gestalt zweier Wandfresken für den neuen Ratssaal im Palazzo della Signoria. Von beiden brillanten Künstlern konnte er Impulse aufnehmen und für die Herausbildung seines eigenen Stils nutzbar machen. Neidlos wusste er das Gute eines jeden Künstlers zu erkennen und sich anzueignen. So verwundert es nicht, dass für Raffael auch die Werke Dürers interessant waren. So scheint der bedeutendste Druckgraphiker seiner Zeit nördlich der Alpen im künstlerischen Austausch mit Raffael gestanden zu haben. Auf jeden Fall schickte Raffael dem rund 10 Jahre älteren Kollegen Zeichnungen nach Nürnberg. Auf einer heute in der Albertina in Wien bewahrten Rötelzeichnung Raffaels hinterließ Dürer im Jahre 1515 eigenhändig die rühmenden Zeilen: „Raffahell de Urbin / der so hoch peim (/) pobst geacht ist gewest hat / der hat (/) dyse nackette bild gemacht und hat / sy dem albrecht dürer gen nornberg / geschickt, Im sein hand zw weisen.“ Bahnbrechend war Raffael, als Sohn eines Goldschmieds und Malers geboren, zweifellos gewesen. Der prächtige Hof Papst Julius II. hatte ihn nach Rom geführt. Hier durfte er die Privatgemächer des Pontifex Maximus mit Wandmalereien ausgestalten und dessen Herrscherporträt malen. Auch sein Nachfolger Leo X. wollte auf Raffaels Dienste nicht verzichten und stilisierte ihn am Ende zu einem Göttlichen. Denn Raffael starb am Karfreitag 1520 und somit am gleichen Tag wie der Sohn Gottes in gläubiger Vorstellung. Der Papst ließ Raffael im Pantheon begraben, dem einstigen Allgöttertempel des antiken Rom, wo man noch heute seine Grabstätte besuchen kann. Eine ruhmreichere Grablege hätte sich ein Renaissancekünstler nicht erträumen können.

Die Fallbeispiele von Dürer, Leonardo da Vinci, Cranach und weiteren Malergenies sollen vor Augen führen, wie ganz unterschiedlich geartete Individuen ihren hehren Wunsch, ein großer Künstler werden zu wollen, vor 500 Jahren hatten einlösen konnten. Mit großer Leidenschaft für ihre Profession gelang es ihnen, im Dunstkreis der mächtigsten und einflussreichsten Menschen ihrer Zeit ein Spielfeld zu finden, das ihren individuellen Ansprüchen entsprach – jeder auf seine ganz eigene Weise. Ein leuchtendes Vorbild für all diejenigen Mutigen, in denen heute ein ähnlicher Wunsch brennt, den Schritt in die Welten der Kunst zu wagen.

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