Wie der Tod Leben ändert - Interview mit einem Bestatter

Interview
25.10.2021 - Jutta von Zitzewitz im Gespräch mit Eric Wrede

Rituale des Todes gehörten einmal zum Leben dazu wie Geburten, Taufen und Hochzeiten. Vieles hat sich verändert, doch das Sterben bleibt. Der Bestatter und Trauerbegleiter Eric Wrede über das einsame Sterben in der Pandemie, die Kraft des Todes und die Bedeutung der Liebe für unsere Trauer.

In Ihrem früheren Leben waren Sie in der Musikbranche tätig. Heute sind Sie Bestatter und Trauerbegleiter. Wie kam es dazu?

Ich hatte das Glück, dass ich mit 30 Jahren alles erlebt hatte, was man so erleben kann in der kommerziellen Musikbranche, ich war beim Motor-Label, habe Künstler wie Selig betreut. Mir war aber klar: Ich möchte das nicht machen, bis ich 65 bin. Bestatter hatte ich aber zunächst nicht auf dem Schirm. Dann gab es da aber eine Art Erweckungserlebnis, ein Gespräch mit Fritz Roth, einem Pionier der Bestattungskultur, der damals den ersten privaten Friedhof in Deutschland gegründet hat – und da hat es plötzlich klick gemacht. Die schwere Erkrankung eines Freundes gab dann letztlich den Ausschlag. Bei der Arbeit in einem klassischen Bestattungshaus mit seinen klassischen Strukturen habe ich dann aber gemerkt, dass ich es etwas anders machen will, und ich habe mich als Bestatter selbstständig gemacht.

Was wollten Sie anders oder besser machen?

Mehr reden als dieses eine Beratungsgespräch, das üblich ist. Der normale Deutsche hat im Schnitt alle 18 Jahre mit einem Sterbefall zu tun, der weiß meist gar nicht, worum es eigentlich geht, wenn es dann so weit ist. Mehr Zeit für Gespräche, ein engerer Kontakt zu den Hinterbliebenen, ihren Bedürfnissen mehr Raum geben. Und den Schwerpunkt der Arbeit auf den Moment des Abschiednehmens zu legen, das war mir wichtig. Dabei geht es den meisten gar nicht um etwas Pompöses, es sind gerade oft die kleinen Dinge, die den Menschen wichtig sind und die man ernst nehmen muss.

Was hat sich durch die Pandemie an unserem Verhältnis zum Thema Tod, Sterben und Trauer geändert?

Eine sehr schwere Frage: Rein zahlenmäßig war der Tod ja noch nie so präsent wie in der Pandemie, aber auch noch nie so abstrakt. Die Zahlen, die jeden Tag in der Zeitung stehen, bilden ja keine Realität ab. Die Pandemie hat mir noch bewusster gemacht, wie wichtig es ist, Abschied nehmen zu können. Ich hatte die leidenden Angehörigen bei mir, die nicht ins Krankenhaus durften. Wie einsam Trauer geworden ist und wie einsam das Sterben geworden ist in dieser Pandemie, habe ich jeden Tag erlebt. Corona hat wie ein Schlaglicht bestehende Missstände hervortreten lassen, die Unterbesetzung der Friedhöfe und die krisenhafte Situation in den Krankenhäusern. Es waren dann vor allem die kirchlichen Friedhöfe und Krankenhäuser, die sehr früh versucht haben, neue Antworten auf die restriktive Situation zu finden. Die haben z. B. sehr früh öffentlich gemacht, dass an Corona Verstorbene nicht infektiös sind, um einen Abschied am Totenbett wieder möglich zu machen.

Was hat Sie auf die Idee zu Ihrem Podcast „the end“ gebracht?

Das war ganz banal. Wenn die Leute erfahren, dass ich Bestatter bin, wollen alle darüber reden. Ich habe mir einfach gedacht: Ich drehe das mal um und suche mir selbst Gesprächspartner, die darüber reden wollen. Meine Gäste kommen gern, weil sie merken, dass im Podcast mit einer großen Entspannung über diese schweren Themen Tod und Trauer geredet wird, die mit Ängsten und Traurigkeit verbunden sind. Die meisten Gäste haben alte Folgen gehört. Es gibt ein sehr großes Bedürfnis, darüber zu reden. Es gibt dieses Tabuthema Tod und Trauer nicht! Es fehlt nur oft das passende Format oder eine passende Technik. Ich glaube, dass man mit einfachen Mitteln darüber reden kann, ohne gleich pastoral zu werden. Das Tabu kommt eher aus einer Hilflosigkeit, einem „Ich weiß gar nicht wie“.

Was ist Ihnen besonders wichtig?

Der erste Punkt ist, dass jede Art von Geplänkel wegfällt, wenn man über den Tod redet. Bei diesem Thema kann sich keiner verstecken, man dringt sofort zum Kern der Existenz vor. Ich hatte mal eine Gästin, die mir erzählt hat, wie sehr sie sich über die Erkrankung ihrer Mutter ihrer Familie wieder angenähert hat. Man erkennt im Umgang mit dem Tod Sachen, die wichtig sind, und solche, die es eben nicht sind, und darum geht es. Die Beschäftigung mit dem Tod ist etwas sehr Philosophisches, das wissen wir seit den alten Griechen. Der Tod trägt eine besondere Kraft in sich. Meine Hoffnung ist: vom Tod was lernen, ohne dass er wirklich da ist. Im besten Fall intensiver oder bewusster leben, das schafft der Tod. Ebenso wichtig ist mir, Menschen dazu zu animieren, darüber zu sprechen, um für den Fall gewappnet zu sein. Auch wenn es dann noch mal etwas völlig anderes ist, wenn dann tatsächlich ein geliebter Mensch stirbt. Aber die vorherige Beschäftigung mit möglichen Antworten oder Fragen ist schon sehr sinnvoll. Am Anfang habe ich gedacht, das Thema interessiert wahrscheinlich eher Leute mit einem gewissen Bildungshintergrund, aber es interessiert wirklich alle, aus allen gesellschaftlichen Kreisen und Bildungsstufen.

Wie sehen Sie die Rolle der Prominenten in Ihrem Podcast? Es sind ja Fachleute da, aber eben auch bekannte Gesichter, die nichts mit dem Thema zu tun haben.

Natürlich möchte ich so viele Menschen wir möglich mit diesem Thema erreichen. Prominente, die den Mut haben, sich in dieser Weise zu öffnen, sind als Vehikel dafür perfekt. Es funktioniert über die Vorbildfunktion, über diesen Effekt: Oh, wenn der oder die darüber reden kann, dann kann ich das vielleicht auch. Das ist die Hoffnung, die ich damit verbinde. Interessanterweise habe ich dann mit vielen Gästen aus dem Podcast danach auch beruflich zu tun gehabt, die kamen mit einem Trauerfall zu mir. Daran habe ich gesehen, dass das Gespräch vorher wirklich etwas bewirkt hat! Für viele Menschen, die auf dem Land leben, ist der Podcast fast therapeutisch, weil sie kaum Angebote haben, wenn es um dieses Thema geht. Ich erhoffe mir von dem Format in der Urania Berlin einen offenen Diskurs zum Thema Tod, auch über Rahmenbedingungen, z. B. wenn es um das Thema Friedhof geht. Die Menschen habe nichts gegen den Friedhof, sondern gegen den Friedhof, wie sie ihn im Schlechten kennengelernt haben – mit all den Regularien, die den Bedürfnissen von Trauernden so oft im Weg stehen.

Was wünschen Sie sich für den gesellschaftlichen Umgang mit dem Thema Tod noch mehr?

Das ändert sich jeden Tag. Ich wünsche mir z. B., dass das ganze Thema auch in die Bildungsarbeit aufgenommen wird. Es wäre auch wichtig, das Thema Tod zu erweitern um den Komplex „letztes Lebensviertel“ – wie möchte ich im Alter leben? Das ist ein ganz großes Thema, gerade jetzt, wo die Babyboomer alt werden und die Gesellschaft als Ganzes immer älter wird. Da muss sich viel tun, denn die jetzigen Strukturen werden das nicht auffangen können.

Wie ist Ihr eigenes Verhältnis zum Tod? Hat sich das durch Ihre Arbeit geändert?

Ich glaube, ich bin hypochondrischer geworden, denn alle Krankheits-geschichten, die ich zu hören bekomme, gehen ja nie gut aus. Und: Meine Toleranz gegenüber Zeitverschwendung ist viel geringer geworden. Auch die Frage, was ist mir eigentlich was wert im Leben, hat sich durch die Beschäftigung mit dem Thema intensiviert. Und noch etwas: Kulturpessimisten, die der Meinung sind, der Zusammenhalt unter den Menschen gehe immer mehr verloren, würde ich gerne mal mitnehmen und ihnen zeigen, wie viel Liebe ich in meiner Arbeit mit Hinterbliebenen jeden Tag sehe. Trauer ist Liebe. Das ist eigentlich das Wichtigste, das ich durch meine Arbeit gelernt habe.

Vielen Dank für das Gespräch!

Eric Wrede studierte Germanistik und Geschichte. Der ehemalige Manager von Selig und Marius Müller-Westernhagen ist heute als Bestatter tätig. In seinem Podcast „The End“ ˛auf radioeins widmet er sich unausweichlichen Fragen des Lebens und natürlich dem Tod.

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